04.06.2025
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Rica Reinisch – Eine Mutmacherin wurde 60

Sie ist die einzige Olympiasiegerin mit Eschweiler Bezug, gewann 1980 als DDR-Sportlerin dreimal Gold. Danach schlug sie viele Wege ein, eckte mit ihrer Geradlinigkeit an und bewies häufig Rückgrat. Anfang April feierte Rica Reinisch ihren Sechzigsten.

Die nun 60-Jährige Rica Reinisch wohnte bereits in fünf Städten und blickt auf einen sehr abwechslungsreichen Lebenslauf. Allein seitdem die frühere Weltklasse-Schwimmerin 1999 ihren jetzigen Mann kennenlernte und daraufhin nach Eschweiler zog, übte sie mehrere Tätigkeiten aus. Beispielsweise leitete sie das Marketing bei Alemannia Aachen und bei der Euregio-Wirtschaftsschau und stand beim Lokalsender Center-TV neben Lambertz-Eigentümer Hermann Bühlbecker moderierend vor der Kamera. Jetzt hilft sie ihrem beruflich, trotz erreichten Rentenalters, weiter aktiven Partner Harald Klein in der Pressestelle seines international renommierten Unternehmens für Innenarchitektur. Beide kosten ihre gemeinsame private Zeit aus. Sie spielen zweimal in der Woche Golf im belgischen Mergelhof, gehen in Kinos, Theater oder Museen. Außerdem ist Rica Reinisch neben täglichem Pilates und Krafttraining das Lesen schon immer wichtig. „Das ist mein Labsal“, meint sie.

Mit einem weiteren Job entdeckte die studierte Lehrerin ihre Berufung. Sie absolvierte eine Zusatzausbildung zum Systemischen Coach und arbeitet seit nun fast zehn Jahren als Mental- und Motivationstrainerin. Als solche berät sie Firmen und deren Führungskräfte bei der Selbstreflexion und spricht mit Privatpersonen oder Schülern in Vorträgen und Workshops über Potenzialentfaltung und Persönlichkeitsentwicklung. „Ich mache Menschen glücklich. Wenn sie aus meinen Inhalten ein Verständnis für sich selbst entwickeln und Freude empfinden, ziehe ich daraus viel Kraft“, geht die empathische Menschenfreundin auf die teils psychologischen und stets individuellen Aufgaben ein. Am Herzen liegen ihr auch Impulsvorträge in Unternehmen, in denen sie aus ihren Erfahrungen einen Nutzen für die Firmen ableitet. „Ich habe viel zu berichten, etwa zur Fokussierung auf Ziele, und merke immer wieder, dass Menschen sich unterschätzen. Hier finde ich Lösungen, um Mut zu machen.“

Sportgeschichte geschrieben
Sie selbst zeigte in ihrem bewegten Leben schon öfter Mut. Am anderen Ende von Deutschland, in Großschönau an der Grenze zu Tschechien, wagte sie bereits als Kind einen großen Schritt. Die talentierte Schwimmerin wechselte von ihrem Heimatort mit zehn Jahren ins DDR-Sportinternat nach Dresden und damit in die frühe Selbstständigkeit. „Ich hatte unendliches Heimweh, aber ich wollte unbedingt durchziehen, zumal mit Ulrike Richter eine Trainingspartnerin 1976 Olympia-Gold gewann.“ Mit Ausdauer, Disziplin und Willenskraft boxte sich Reinisch im immens harten Training mit täglich bis zu vier Einheiten durch. Bei den Olympischen Spielen 1980 in Moskau schrieb sie Geschichte. Sie errang drei Goldmedaillen und ist bis heute die einzige Frau in der Historie des Schwimmsports, die bei einer Olympiade fünf Weltrekorde aufstellte: Einen im Vorlauf und dann bei den Finalsiegen über 100 und 200 Meter Rücken sowie mit der 4x100-Meter-Lagenstaffel (Gesamtzeit und ihre Einzelzeit). Schon mit 15 Jahren war sie ein Idol der Sportnation DDR.

Gerichtsprozess und späte Ehre
Kurz darauf sah sie sich gezwungen, ihre Passion aufzugeben. Ein Gynäkologe teilte ihr vertraulich mit: „Falls du mal Kinder haben möchtest, solltest du schnellstens den Hochleistungssport beenden.“ Nach der deutschen Wiedervereinigung erfuhr sie aus der Recherche des Biologen Werner Franke, dass ihr als Vitamintabletten getarnte anabole Steroide verabreicht wurden, wohlgemerkt im minderjährigen Alter. Dadurch erlitt sie zwei Fehlgeburten und bekam eine tiefere Stimme. Während sich andere DDR-Doping-Opfer wegduckten, stand Reinisch nach der Wende mutig auf und ging als Nebenklägerin juristisch (erfolgreich) gegen Verantwortliche vor. „Infolgedessen galt ich hüben wie drüben als Netzbeschmutzerin und wurde zu Sportlergalas nicht mehr eingeladen.“ Erst 2023, wohl wegen des öffentlichen Drucks der „Sächsischen Zeitung“, wurde ihr Portrait der Ahnengalerie des Dresdener Schwimmkomplexes hinzugefügt. Beim Ehemaligentreffen in Dresden begegnete sie ihrem Trainer Uwe Neumann vor dessen Tod im Januar dieses Jahres zum letzten Mal. Zur Beerdigung fuhr sie nicht. „Ich sah ihn als väterlichen Freund – und er missbrauchte seine Position. Auch wenn er sich nie entschuldigte, reichte ich ihm die Hand. Damit ist das Kapitel abgeschlossen.“

Courage bewies sie ebenso, als sie 1988 mit ihren beiden Kindern in die Bundesrepublik ausreiste. Weil sie zu ihren Überzeugungen steht, hörte sie als TV-Journalistin bei verschiedenen Fernsehsendern recht bald wieder auf. „Ich bin doch nicht nach drei Ausreiseanträgen durch zwei Stasi-Verhöre und daraus resultierende Repressalien gegangen, um im Westen erneut vorgegebene Muster zu erfüllen; nach dem Motto ,schneide den Beitrag mal so, damit er den geplanten Sinn ausdrückt‘. Über die Einseitigkeit mancher Medienberichte bin ich auch zurzeit täglich erschrocken.“ Mehr Gestaltungsfreiraum bot ihr die Plaza-Mediengruppe, wo sie für das DSF das „Offensiv-Interview“ redaktionell produzierte.

Optimistische Stimmungsaufhellerin
Rica Reinisch ist kein streitsuchender Rebell. Im Gegenteil: Sie ruht in sich, wirkt wie ein optimistischer Stimmungsaufheller mit einem ansteckenden Lachen. Aber: Sie trägt eine Prinzipientreue in sich und hält mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg. „Indem ich immer anspreche, wenn mich etwas stört, werde ich nie ein Magengeschwür bekommen“, glaubt sie. So tickten bereits ihre Eltern, die in der DDR trotz Nachteilen nicht der SED angehörten, und so ist auch die Einstellung ihres „seelenverwandten“ Bruders Dirk. Er war ein begabter Leichtathlet. Die Mutter (Handball) und der 2013 verstorbene Vater (Fußball) trieben ebenfalls Sport.

Nach wie vor fiebert Rica Reinisch begeistert bei Sportwettkämpfen wie Biathlon mit und hält Kontakt zu Athleten. Unter ihren drei Enkeln Olivia, Paul und Frederik, an denen sie sich herzlich erfreut, ist mit „Freddie“ ein Schwimmer der Wasserfreunde Delphin Eschweiler. Mit deren Vereinsvorsitzenden Christoph Herzog sowie dem Lions-Club Eschweiler-Stolberg richtete Reinisch 2017 einen Schwimmkurs für junge Flüchtlinge aus dem Haus St. Josef ein. „Ich könnte mir gut vorstellen, mich lokal für Kinder und Jugendliche wieder mehr zu engagieren. Bewegungsangebote und Sportvereine sind für deren Entwicklung enorm wichtig“, betont sie.

Kinzweiler als Kraftort
Auch mit 60 Jahren hat die Wahl-Eschweilerin noch viel vor. Dazu zählt, irgendwann ein Buch zu schreiben, nach Asien oder Australien zu reisen und weiter gerne „frei Schnauze“ zu kochen. Am Herd kennt sich ihr Sohn Marcel ebenfalls aus. Der gelernte Tontechniker fand als Koch eines Catering-Services seine berufliche Leidenschaft. Das zweite Kind von Rica Reinisch, Tochter Nastasia, leitet die Personalabteilung eines international tätigen Unternehmens in Berlin. Die beiden Kinder von Harald Klein, Julian und Lili, runden das Familienglück ab.

Klein und Reinisch leben in der Kinzweiler Wasserburg. „Das ist mein Kraftort“, sagt die Dreifach-Olympiasiegerin, die dort auch ihren runden Geburtstag genoss. „Mein Alter steht für Gelassenheit und Erfahrung. Trotzdem lerne ich immer noch dazu. Das macht das Leben doch lebenswert: Zu lieben und zu lernen.“

Tim Schmitz

Dieser Artikel wurde in der April-Ausgabe des REGIO LIFE-Magazins veröffentlicht. REGIO LIFE erscheint alle zwei Monate und liegt kostenlos zum Mitnehmen in vielen Geschäften und an weiteren Stellen in Eschweiler und Umland aus.